- Werfen Stoßen Wissen Schaffen
- Posts
- Γνῶθι σεαυτόν
Γνῶθι σεαυτόν
Wie finde ich meine Trainingsphilosophie?

Teil 1: Sich selbst als erkennen
„Gnothi seauton“ lautete die Inschrift am Apollontempel in Delphi – „Erkenne dich selbst“. Dieser jahrtausendealte Gedanke ist auch heute noch aktuell, auch für Trainerinnen und Trainer. Während sich Aus- und Fortbildungen häufig mit Methoden, speziellen Übungen oder der Planung des Trainings, also dem Wie und Was, beschäftigen bleibt das Warum oft im Hintergrund oder wird gar nicht behandelt. Dabei stellt das Warum den Kern und die Grundlage jedes Trainer:innendaseins dar. Jeder Trainingsprozess sollte immer mit einem „Warum?“ starten (Sinek, 2011).

Abbildung 1: Der “Goldene Kreis” von Simon Sinek beschreibt, dass Erfolg immer mit dem "Warum" beginnt.
Ein flüchtiger Blick morgens in den Spiegel reicht für echte Selbstreflexion nicht aus. Auch das Wissen über sich selbst bedarf aktiver und bewusster Bemühungen. Fragt euch also: „Wieso bin ich Trainer:in?“. Die Antwort auf diese Frage ist entscheidend, um euren Zweck und eure Grundwerte zu identifizieren und zu fördern. Dabei zählen Antworten wie „Ich will Athlet:innen zu Weltmeisterschaften bringen.“ oder „Ich will Bundestrainer:in werden und viel Geld verdienen.“ nicht. Solche Antworten beziehen sich auf die Ergebnisse, auf das Was. Ergebnisziele können nicht Grundlage des Handelns sein, sondern lediglich ein möglicher Effekt.
We were never fighting for wins. We were fighting for a belief in what we stood for, the way we believe life should be lived and people should be treated. Winning is a by-product of how you approach life and relationships.
Um euer persönliches Warum zu finden, habe ich in dem angehängten Dokument ein paar Fragen und Ressourcen zusammengetragen. Die Antworten auf diese Fragen werden euch (in der nächsten Ausgabe) helfen, eure jeweilige Trainingsphilosophie zu formulieren. Denn nur wenn ihr euch selbst erkennt, könnt ihr bewusst und authentisch handeln, könnt andere verstehen, eure Stärken nutzen, an euren Schwächen arbeiten und schlussendlich euren eigenen Weg als Trainer:in finden (Gilbert, 2016).
|
Teil 2: Eine Trainingsphilosophie entwickeln
Im ersten Part ging es darum euer persönliches Warum zu finden. Ihr solltet nun ein besseres Verständnis davon haben wer ihr, vor allem in der Rolle als Trainer:in, seid. Ihr solltet wissen, was für euch als Trainer:in wichtig ist. Als kleine Wiederholung, solltet ihr folgende Frage beantworten: „Wer bin ich als Trainer:in?“
In diesem zweiten Teil soll es nun darum gehen, dieses Verständnis – euer Warum – in konkrete Grundwerte auszuformulieren und daraus eine Trainingsphilosophie zu entwickeln. Es ist von essenzieller Bedeutung die eigene Werte zu identifizieren und sie aktiv zu pflegen. Diese „funktionale Kompetenz“ (Trainingsphilosophie) ergänzt die „aufgabenbasierten Kompetenzen“ (Trainingseinheiten durchführen, Beziehungen zu Athlet:innen aufbauen, Saisonplanung, etc.) und bildet die Grundlage für ein effektives Training (Gilbert, 2016).
Eine stark ausgebildete Trainingsphilosophie ist dabei als primärer Antrieb und die Handlungsbasis für Trainer:innen zu sehen und wird im Internationalen als auch im Europäischen Sport Coaching Framework als Schlüsselfaktor für nachhaltigen Erfolg hervorgehoben (International Council for Coaching Excellence & Association of Summer Olympic International Federations, 2013; Lara-Bercial et al., 2017).
Kernwerte formulieren
Schreibt nun die für euch wichtigsten Kernwerte auf (drei bis fünf sind meistens ausreichend). Zu jedem Grundwert solltet ihr eine konkrete Handlungsanweisung formulieren, die deutlich beschreibt, wie dieser Grundwert in der Praxis umgesetzt wird.
Ein Beispiel liefern die Grundwerte des 2008er US Olympia Basketball Teams, das unter dem Hall of Fame Coach Mike Krzyzweski („Coach K“) ungeschlagen die Goldmedaille gewann (Krzyzewski & Spatola, 2010):
Communication: We look each other in the eye, and we tell each other the truth
Respect: We respect each other and our opponents, we’re always on time, and we’re always prepared
Aggressiveness: We play hard every possession
Werte auf die Probe stellen
Um zu prüfen, ob eure Grundwerte wirklich tragfähig sind, stellt euch die folgenden Fragen:
Wenn du ein neues Team betreuen müsstest, würdest du dein Training auf deinen Grundwerten aufbauen, unabhängig der jeweiligen Umstände?
Würdest du an den Grundwerten festhalten, auch wenn sie irgendwann zu einem Wettkampfs Nachteil werden würden?
Würdest du persönlich an diesen Werten festhalten, auch wenn du nicht dafür belohnt werden würdest?
Würdest du aufhören zu coachen, wenn deine Grundwerte nicht aufrechterhalten werden könnten?
Am Ende sollte jede:r Trainer:in in der Lage sein, folgenden Satz prägnant zu vervollständigen:
„Als Trainer:in existiere ich um…“
Für das Erfassen der Grundwerte sowie die Frage nach dem Zweck eurer Trainer:innendaseins gibt es keine Musterlösung. Es gibt aber eine richtige Antwort – eine ehrliche Reflektion darüber, wieso ihr Trainer:in seid. Ihr wisst, dass ihr die richtige Antwort gefunden habt, wenn ihr sie jemandem erzählt und sie sich richtig anfühlt. Sie wurde nicht von anderen Personen geschrieben und vorm Spiegel einstudiert, damit man professionell wirkt und als Trainer:in gut dasteht, sondern sie kommt vom Herzen.
Athlet:innen einbeziehen
Eine Trainingsphilosophie baut auf den eigenen Werten und dem Trainer:innenverständnis auf, wird aber geformt durch und entsteht erst in Beziehung zur jeweiligen Umwelt. Es bedarf nicht nur Wissen über sich selbst (Γνῶθι σεαυτόν), sondern auch Wissen über die Athlet:innen. Es ist unabdingbar sie in den Gestaltungsprozess der Trainingsphilosophie miteinzubeziehen.
Ein Beispiel aus meiner Praxis: Ich habe eine Liste mit verschiedenen Werten, basierenden auf meinen Grundwerten erstellt. Diese Liste von ca. 20 Werten, habe ich an die Athlet:innen mithilfe einer digitalen Umfrage weitergegeben und sie gebeten, die für sie sechs wichtigsten auszuwählen und dazu konkrete Handlungsanweisungen zu formulieren. Aus den Antworten entstand eine gemeinsame Werteliste mit klaren Erwartungen. Abschließend wurden die Werte in einer prägnanten Aussage zusammengefasst: „Wir lernen jeden Tag zusammen besser zu werden.“ Die Werte können als Plakat aufgehängt und von allen Athlet:innen und Trainer:innen unterschrieben werden und dienen somit als sichtbares Symbol der gemeinsamen Trainingsphilosophie.
Fazit – Werte müssen gelebt und nicht nur aufgeschrieben werden
Eine Trainingsphilosophie ist ein flexibler Satz von Prinzipien, basierend auf den eigenen Werten und dem persönlichen Warum. Sie muss regelmäßig an die Athlet:innen und variablen Rahmenbedingungen und Herausforderungen angepasst werden.
Doch Worte allein genügen nicht: Eine Trainingsphilosophie entfaltet nur dann Wirkung, wenn sie authentisch ist und im (Trainings-)Alltag gelebt wird. Taten sind wichtiger als Worte. Trainer:innen tragen die Verantwortung die Werte im Alltag vorzuleben - im Umgang mit Athlet:innen, im Wettkampf, im Training. Erst wenn Werte sichtbar verkörpert werden, entsteht eine wachsende Kultur von Vertrauen, Gemeinschaft und Exzellenz.
Literatur
Sinek, S. (2011). Start with Why: How Great Leaders Inspire Everyone to Take Action. Penguin Publishing Group.
Gilbert, W. (2016). Coaching Better Every Season: A Year-Round Process for Athletic Development and Program Success: A Year-Round System for Athlete Development and Program Success. Human Kinetics.
Huber, J. J. (2012). Applying Educational Psychology in Coaching Athletes. Human Kinetics.
International Council for Coaching Excellence, & Association of Summer Olympic International Federations. (2013). International Sport Coaching Framework. Human Kinetics.
Krzyzewski, M., & Spatola, J. K. (2010). The Gold Standard: Building a World-Class Team. Grand Central Publishing.
Lara-Bercial, S., North, J., Hämäläinen, K., Oltmanns, K., Minkhorst, J., & Petrovic, L. (2017). The European Sport Coaching Framework.
